Die Blüte des Anstoßes

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Die Blüte des Anstoßes

(F. D. Richards / Flickr / cc-by-sa-2.0)

Blumenhändler in den USA und Europa müssen jetzt einen Teil ihrer Ware vernichten. Sie haben gentechnisch veränderte Petunien in einer Farbe im Angebot, die so gar nicht auf dem Markt erhältlich sein sollten. Wie die Pflanze aus dem Labor in den Handel kam, ist unklar.

Der finnische Biologe Teemu Teeri war beim Anblick von blühenden Petunien in Helsinki stutzig geworden. Die lachsrote Farbe erinnerte ihn an eine Züchtung, die vor knapp 30 Jahren von Pflanzendesignern des Max-Planck-Instituts für Pflanzenzüchtungsforschung (MPIPZ) in Köln-Vogelsang kreiert worden war. Nach einer Überprüfung der Pflanzen aus Helsinki war klar, dass es sich um die Kölner Petunien handelte. Der Forscher machte die finnische Gentechregulierungsbehörde darauf aufmerksam. Weitere Blumen mit der Genveränderung wurden mittlerweile entdeckt. Ende April verfügte die Behörde, dass die Pflanzen aus dem Verkehr zu ziehen seien. Nicht geklärt ist, wie die Blumen überhaupt in den Handel gelangten.

Klar ist hingegen, dass die zarten Pflänzchen mit fremdem Erbgut ihren Anfang im Reagenzglas nahmen und damals von den Kölner Forschern ausgepflanzt wurden: beim ersten bundesweiten Freiland-Experiment mit gentechnisch veränderten Pflanzen (GV-Pflanzen) 1989.

Erschaffen wurde die neuartige Farbe mithilfe eines Maisgens, das die Forscher in eine sonst weiß blu?hende Petuniensorte einschleusten. Aber bei den neuen Blu?ten ging es nicht um Schönheit. Der lachsrote Farbstoff sollte vielmehr der Jagd nach Transposons (von lateinisch transponere “versetzen”) dienen. Diesen beweglichen genetischen Elementen gelingt es, ihre Position innerhalb des Genoms zu verändern (“springende Gene”). Sie können auf andere Erbgutabschnitte u?berspringen und sie modifizieren. Die agilen Agenten gelten daher als “Mutationsgeneratoren”. Ihre Erforschung verspricht neue Einblicke in die Mechanismen der Evolution.

Um Licht auf diese Akteure zu werfen, entwickelten die Forscher eine “Signallampe” fu?r Transposons. Hu?pft eines von ihnen auf das Maisgen, verändert sich die Petunien-Farbe. Die Blu?tenkelche wandeln sich von Lachsrot in gesprenkelt oder weiß gestreift. Um genu?gend Forschungsmaterial zu erhalten, säten die Forscher die transgenen Zierpflanzen auf einem etwa 5000 Quadratmeter großen institutseigenen Versuchsfeld aus.

Was dann passierte, wunderte selbst die Wissenschaftler: Sie konnten zwar wie erwartet 66 weiß marmorierte Petunien einsammeln. Aber die Farbgene waren nicht durch Transposons verändert worden ? sondern durch Umwelteinflu?sse. Untersuchungen zeigten, dass die intensive Sonneneinstrahlung des extrem heißen Sommers das Gen fu?r die Lachsfarbe “umprogrammiert” hatte. “Jetzt erst wurde der Wissenschaft so richtig klar, welche Rolle Umweltreize bei Genveränderungen spielen”, erklärt MPIPZ-Sprecher Wolfgang Schuchert das Ergebnis. Weil es damals bereits in anderen Ländern diverse Genpflanzen-Experimente unter freiem Himmel gab, fu?rchteten Umweltschu?tzer einen “Dammbruch” nun auch in Deutschland.

Mit dem Pilotprojekt der Kölner, so argwöhnten sie, könnte die Tu?r fu?r Nachfolgeversuche aufgestoßen werden. Tatsächlich kam es im April 2004 zum bundesweit ersten Freilandversuch mit einer gentechnisch veränderten Nutzpflanze: Weizen. Das manipulierte Getreide sollte einen verstärkten Schutz gegen Pilzbefall besitzen.

Aktivisten von Greenpeace sabotierten das Experiment. Sie streuten tonnenweise Ökoweizen auf die Versuchsfelder. Die Fronten sollten sich in den Folgejahren noch verhärten. Zunehmende Bu?rgerproteste machten die Forschung an genveränderten Organismen zum “heißen Eisen”. Rechtliche Vorgaben bremsten die Technologie weiter: Bauern haften etwa in vollem Umfang fu?r Schäden, wenn genveränderte Organismen (GVO) von ihren Feldern auf die eines Nachbarn gelangen sollten.

Eine Versicherung gegen dieses Risiko gibt es nicht. 2009 dann folgte das Verbot, den eigentlich von der EU zugelassenen Genmais MON810 auszubringen. All diese Hemmnisse haben mittlerweile dazu gefu?hrt, dass viele Gentech-Firmen und Genforscher aus Deutschland flu?chteten. BASF nahm seine gentechnisch veränderte Amflora-Kartoffel vom Markt. Als Folge wuchsen 2013 in Deutschland das erste Mal seit der Freiland-Premiere keine Gentech-Pflanzen unter freiem Himmel ? weder auf Versuchsfeldern noch in der Landwirtschaft. Doch die frisch-aufgetauchten Petunien setzen einen neuen Farbakzent in der Debatte.

(Joseph Scheppach) / (jle)

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