Ein 24-Jähriger leidet an einer tödlichen Krankheit. Ursache ist die Veränderung eines einzigen Bausteins in seinem Erbgut. Nun will ein Forscher sie mit der Genschere CRISPR beheben.
Als die Ärzte ihm mitteilten, seine Krankheit sei tödlich, war er gerade einmal neun Jahre alt. Vor 15 Jahren erhielt Ben Dupree die Diagnose Muskeldystrophie Duchenne, als er Schwierigkeiten bekam, die Treppe freihändig hinaufzugehen. Darüber, wie er mit der Krankheit leben soll, sagten die Mediziner jedoch kaum etwas. Sie bereiteten ihn nicht auf die Mädchen vor, die nur den Rollstuhl, nicht aber ihn sehen. Und nicht darauf, dass sein Telefon aufhören würde zu klingeln. Nur er und seine Mutter Debbie zählen seine Geburtstage und finden Jahr für Jahr heraus, was er nun nicht mehr machen kann. Inzwischen ist Ben Dupree 24 Jahre alt und hat viele andere Kranke überlebt.
TR 2/2017
Dieser Artikel stammt aus dem Februar-Heft von Technology Review. Weitere Themen der Ausgabe:
Sein Körper kann den Muskelbaustein Dystrophin nicht herstellen. Dadurch verwandeln sich die Muskeln mit der Zeit in eine fettartige Substanz. Betroffene enden am Beatmungsgerät, bis ihr Herz zu schlagen aufhört. Das Dystrophin-Gen ist das größte im menschlichen Erbgut und in der Natur überhaupt. Bei Dupree ist nur ein einziger DNA-Baustein vertauscht ? nämlich Guanin statt Thymin. Als Folge steckt in diesem riesigen Rezept eine falsche Anweisung. Die Bildung des Proteins wird gestoppt. Wem es daher gelingt, diese Genveränderung auszuschalten, könnte das Dupree gesund machen.
Dupree hat einen Abschluss in Biochemie und möchte humangenetischer Berater werden. Im Dezember 2015 erfuhr er von CRISPR, einem Verfahren, mit dem sich künftig vielleicht genetische Mutationen korrigieren lassen. Die Genschere stammt aus Bakterien. Dort dient sie dazu, Viren-DNA zu erkennen und zu zerschneiden, um die Eindringlinge abzuwehren. In den Jahren 2012 und 2013 haben Forscherteams aus Boston, Berkeley und Seoul parallel zueinander gezeigt, dass sich dieser natürliche Abwehrprozess vereinfachen und für den Einsatz in menschlichen Zellen umprogrammieren lässt.
Das Dystrophin hat eine wesentliche Funktion bei der Stabilisierung der Zellmembran der Muskelfaser: Es verbindet die Basalmembran mit dem Skelett der Zelle. Sein Fehlen macht die Membran zudem durchlässig fu?r Enzyme. Duchenne-Patienten bilden aufgrund eines Gendefekts kein Dystrophin.Bild: Shutterstock
Das wollte der Wissenschaftler Eric Olson vom Southwestern Medical Center an der University of Texas auch bei der Muskeldystrophie Duchenne probieren. Deshalb bat er vor mehr als einem Jahr um eine Blutprobe von Dupree. Schon bald zeigte der Biochemiker und Molekularbiologe dem jungen Mann seine Ergebnisse: Dank der Genschere CRISPR hatte Olsons Team das Pseudo-Exon in Duprees Zellen durchtrennt. Wird DNA auf diese Weise beschädigt, macht sich die Zelle sofort an die Reparatur. Dabei passiert allerdings oft ein kleiner Fehler. Nur war dieser Fehler in Duprees Fall erwünscht. Er macht die fehlerhafte genetische Anweisung unbrauchbar. Der genchirurgische Prozess erforderte nur einen Schritt und war in drei Tagen geschafft. Im Mikroskop waren Duprees behandelte Zellen mit grünfarbigen Dystrophin-Wölkchen durchsetzt.
Die Möglichkeit, sämtliches Erbgut mit CRISPR präzise und leicht verändern zu können, krempelt gerade das Feld der Gentherapie um. Täglich stoßen Wissenschaftler auf neue Anwendungen. Die Hoffnung ist, mittels Genchirurgie Krankheiten per einmaliger DNA-Korrektur auszumerzen. In Laborexperimenten haben Forscher gezeigt, dass Genscheren neue Angriffsstrategien gegen Krebs, Infektionen wie HIV und Hepatitis sowie vielleicht sogar gegen Blindheit und Taubheit ermöglichen. Infrage kommen auch jene etwa 5000 Erbkrankheiten, von denen die genetischen Ursachen bekannt sind. Außerdem entdecken Sequenzierlabore jährlich weitere 300 Fehler. Manche Krankheiten sind sehr selten. Die Muskeldystrophie Duchenne dagegen gehört zu den häufigsten Erbkrankheiten. Mädchen sind zwar kaum betroffen, dafür aber jeder 4000. Junge.
“Auf einmal arbeiten alle an CRISPR”, sagt Tom Barnes, leitender Wissenschaftler von Intellia Therapeutics. Das Start-up aus Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts hat gerade rund 300 Millionen Dollar für die Entwicklung von CRISPR-Therapien eingeworben. Barnes zufolge vereinfacht die Methode das Geneditieren enorm (siehe TR 6/2016, S. 66). “Niemand von uns kann vorhersehen, wohin uns diese Technik führen wird”, sagt Olson. “Aber ich gehe davon aus, dass sie uns viel weiter bringen wird, als wir annehmen.”
Kann sie Ben Dupree heilen? Seit 30 Jahren suchen Forscher nach wirksamen Gentherapien. Bisher war der Ansatz, gesunde Genvarianten, zum Beispiel mithilfe von Viren, in die Zellen einzuschleusen. Doch das funktioniert nicht bei allen Krankheiten. Das Dystrophin-Gen zum Beispiel ist viel zu groß, um in einen Virus zu passen. Außerdem hilft in manchen Fällen eine neue, gesunde Genvariante nicht ? nämlich dann, wenn ein fehlerhaftes Gen einfach stillgelegt werden muss. Das DNA-Schneidewerkzeug von CRISPR dagegen passt zum einen sehr gut in einen Virus. Zum anderen macht das Verfahren mit seiner Fähigkeit, Gene abzuschalten oder auch Genbuchstaben auszutauschen, ganz neue Therapien möglich ?zumindest in der Theorie.
Dieser Text ist der Zeitschriften-Ausgabe 02/2017 von Technology Review entnommen. Das Heft kann, genauso wie die aktuelle Ausgabe, hier online bestellt werden.