Die größte spanische Zeitung El Pais verbreitet “Analysen” der Alliance for Securing Democracy des transatlantischen German Marshall Fund und sieht überall die “Russen” am Werk
Mittlerweile ist die Strategie, hinter unerwünschten Richtungen der Ereignisse russische Beeinflussungsoperationen zu sehen, zu einem Standard geworden. Das Narrativ ist von den Demokraten und von den Anti-Trump-Medien in den USA während des Wahlkampfs ausgearbeitet worden und schloss an den Ukrainekonflikt an, in dem Russland aus der Sicht der Nato einen “hybriden Krieg” mit militärischen und medialen Mitteln geführt habe.
El Pais, die größte spanische Zeitung, die gegen das Unabhängigkeitsreferendum positioniert ist, hat eine Woche vor dem geplanten Referendum, das die spanische Regierung auf jeden Fall verhindern will, das Narrativ der russischen Beeinflussung entdeckt oder ausgegraben – auf fast schon peinliche Weise.
Russische Medien, so die Behauptung, würden den Konflikt um das Streben nach Unabhängigkeit in Katalonien benutzen, “um Europa zu destabilisieren”. Nach angeblichen Eingriffen, um den Brexit zu fördern, Trump an die Macht zu bringen, Le Pen in den französischen Wahlen oder auch die AfD in Deutschland zu stärken, habe die “russische Online-Beeinflussungsmaschine” nun Katalonien ausgemacht, um den Hebel gegen die spanische Regierung und eben die ganze EU anzusetzen. Russische Medien reagieren amüsiert.
Die russische “Beeinflussungsmaschine” arbeite, so ein Artikel vom Montag, in “voller Geschwindigkeit, um die Katalonienkrise in den Augen der Öffentlichkeit mit Konflikten auf der Krim oder bei den Kurden zu vergleichen”. Ein Blick von außen, nicht aus Madrid, sieht natürlich auch in der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung Parallelen zum Brexit, zu Schottland, dem Kosovo, der Krim und dem gerade stattgefundenen Referendum der irakischen Kurden. Wenn das katalonische Unabhängigkeitsreferendum zur Rechtfertigung des Volksentscheids auf der Krim verwendet wird, der zur Annexion der Halbinsel führte, wäre dies natürlich etwas anderes. So hat man eher den Eindruck, El Pais gehe es primär um die Diskreditierung der katalonischen Unabhängigkeitsbewegung, indem man diese in die Nähe russischer Interessen bringen will.
Kritik gibt es nicht nur in Spanien aus Kreisen, die nicht verdächtig sind, pro-russisch zu sein, am Vorgehen der spanischen Regierung, die mit der paramilitärischen Guardia Civil gegen katalonische Beamte, Zeitungen und Websites vorgeht, Hunderte von Bürgermeistern mit Klagen und Gefängnisstrafen unter Druck setzt und auch schon mit Militär gedroht hat, ohne zuvor Verhandlungen mit der Regionalregierung in Barcelona auch nur zu versuchen. El Pais sieht die russischen Medien gegen Madrid agieren, das als repressiv dargestellt wird: “Diese Nachrichtenorganisationen behaupten, dass Madrid paramilitärische Truppen nach Barcelona geschickt hat, und sie warnen, dass ein Bürgerkrieg droht, während die EU passiv zuschaut.”
Die Alliance for Securing Democracy des transatlantischen German Marshall Fund zeigt auf Russland – irgendwie
Dass spanische Medien ebenfalls mit allen Mitteln versuchen, Katalonien in Misskredit zu ziehen, fällt in der Einseitigkeit der Darstellung aus. El Pais bezieht sich etwa auf verbreitete Meldungen des Chefs einer katalonischen Kleinstpartei, die bei den letzten Regionalwahlen gerade einmal 1,28 Prozent der Stimmen erhielt. Vor allem stützt sich die Zeitung auf Berichte der Alliance for Securing Democracy, die von der transatlantisch ausgerichteten Stiftung German Marshall Fund gegründet wurde. Sie soll die russische Beeinflussung der amerikanischen Wahlen 2016 untersuchen und “umfassende Strategien entwickeln, um russische und andere staatliche Akteure abzuwehren und die deren Kosten bei den Versuchen zu erhöhen, die Demokratie und demokratische Institutionen zu unterminieren”.
Die Allianz untersucht vornehmlich “Hashtags, Themen und URLs, die ein mit Russland verknüpftes Einflussnetzwerk auf Twitter bewirbt”. Um nicht sofort beschuldigt zu werden, Fake News zu verbreiten, heißt es dann aber bescheidener, nachdem man erst einmal die Voraussetzung des russischen Einflussnetzwerks gemacht hat:
Die Inhalte können, müssen aber nicht zwingend von russischen Regierungsagenten erstellt worden sein. Hauptsächlich verstärkt das Netzwerk opportunistisch solche Inhalte, die von Dritten ohne direkte Russland-Verbindungen ins Netz gestellt wurden. Fokus sind dabei typischerweise Angriffe auf Deutschland, Europa und die USA, sowie Verschwörungstheorien und Desinformation. Russische Einflusskampagnen zielen darauf ab, westliche Länder zu spalten und Extremismus zu befördern. Nicht jeder, der als Teil des hier beobachteten Russland-freundlichen Netzwerks etwas twittert, muss zwangsweise mit Russland verbündet sein.
Alliance for Securing Democracy
Gegenüber El Pais erklärt Brett Schaffer von der Allianz, die perfide Strategie der “pro-russischen Beeinflussungsmaschine” sei es, “Informationen zu schaffen, sie manchmal real und manchmal ein Fake sind”. Russland wolle auch nicht, dass Katalonien unbedingt autonom wird, Russland wolle, wer immer Russland in solchen Verschwörungstheorien gleichenden Kampagnen, auch sein mag, “Brüche erzeugen, um langsam die Demokratie und die Institutionen Europas zu untergraben”. Es geht also um sehr diffuse Bemühungen.
Als bemerkenswerte Entdeckung beschreibt El Pais, dass zwischen dem 16. und 23. September unter den Twitter-Trends “ein Thread von separatistischen Bewegungen sichtbar war, mit Unterstützung für Kurdistan, Katalonien und, subtiler, ein Reiseführer für die Krim”. So werden also im neuen Kalten Krieg Beweise gestrickt, um Paranoia zu erzeugen. Wenn RT in Artikeln und Tweets die Konfrontation Barcelona-Madrid dramatisiert, dann ist dies sicher richtig. Allerdings haben westliche Medien und Regierungen auch nicht gerade objektiv und neutral die Geschehnisse auf der Krim und im Donbass dargestellt. Waren da transatlantische Einflussnetzwerke aktiv, deren Arbeit sich in der Alliance for Securing Democracy fortsetzt?